Turmkapellenkonzert am 25.05.2014 in der Michaelskirche,  Neuenkirchen

 

Zwei besondere Menschen an einem besonderen Ort.

Dass das ein Geheimtip sein musste, hatte sich wohl schon schnell herumgesprochen: Innerhalb kürzester Zeit waren die 26 Plätze für den 25. Mai reserviert, eine Warteliste musste angelegt werden.

 

"Time stands still" hieß das Konzert in der 1000 Jahre alten Turmkapelle der Michaelskirche Neuenkirchen, die als Wehr- und Zufluchtsort bei kriegerischen Auseinandersetzungen oder Sturmfluten gebaut wurde, lange bevor die Kirche entstand.

 

In der außergewöhnlichen Atmosphäre dieses ehrwürdigen Gebäudes erklang Musik aus Mittelalter, Renaissance, Barock und Moderne, aus Italien, Deutschland, England, Irland, Amerika und der Schweiz.

 

Jan Wiechmann (Gesang) und Hauke Scholten (Cembalo/Klavier) schafften es schon mit den ersten Tönen, dem Titel der Veranstaltung gerecht zu werden:

Die Zeit stand still. Die Klänge füllten den Raum. Der Raum wurde zum Universum und irgendwie auch zum Nabel der Welt.

 

Dy Minne ist grozyr, grozyr dan dy Berge, bretir wan dy Welt, duffir wan das Meer, clerre wan dy Sunne...“,

so begann das Konzert an diesem herrlich sommerlichen Tag in der angenehm kühlen Kapelle mit einem Stück, gefunden in Frank Wunderlichs Neuvertonungen der Werke der "Minnesängerin Gottes", dem nach wenigen Begrüßungsworten von Hauke Scholtens Seite her das titelgebende Stück "Time stands still" von John Dowland folgte.

 

Wir haben ein Programm, Sie nicht. Das ist Absicht. Genießen Sie einfach eine schöne gemeinsame Stunde voller unterschiedlichster Musik.“

 

"Something told the wild geese", dessen Text von Rachel Field, einer US-amerikanischen Schriftstellerin aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammt und das von Sherri Porterfield, einer zeitgenössischen französischen Komponistin, vertont wurde, ließ die Stimmen beider Musiker glänzen.

 

Danach stand "Jesu bleibet meine Freude"aus der Kantate "Herz und Mund und Tat und Leben" von J.S. Bach auf dem Programm, dessen Begleitung wir auch als eigenes Stück

kennen und das durch seine Bekanntheit mitriß.

 

Ein Lied von Billy Joel, "And so it goes", folgte und wurde als eine besondere und außergewöhnlich schöne Version mit dem Cembalo begleitet.

 

"Greensleeves" schloss sich an, eines der bekanntesten engl. Volkslieder, das als „Romanesca“ (also im italienischen Stil) komponiert wurde und mit seiner Melancholie schon im 17. Jahrhundert sehr bekannt und beliebt war.

 

Aus dem Bereich der Schnittstelle zwischen Renaissance und Frühbarock hörten wir das "Ave Maria" von Giulio Caccini , der als italienischer Sänger, Komponist, Instrumentalist und Schriftsteller maßgeblich an der musikalischen Entwicklung der Oper beteiligt war.

 

Danach spielten die begnadeten Hände Hauke Scholtens ein Cembalo-Solo, die Passacaglia aus dem Musikalischen Parnassus von J.C.F. Fischer, der ein Zeitgenosse Bachs war.

Hauke Scholten hatte eigens für dieses Konzert sein eigenes Cembalo transportiert, was gar nicht so einfach war , denn es mußte über die Kirchentreppe und durch den schmalen Gang zur Turmkapelle gebracht werden.

 

"Foggy Dew", das irische Unabhängigkeitslied, das "Vater unser" vom Schweizer Komponisten Frank Martin aus dem 20.Jahrhundert, "Clear or cloudy" von John Dowland und "Dream Angus", ein keltischer Traditional über Dream Angus, eine keltische Gottheit, die dem Sandmann ähnlich ist, rundeten das Konzert ab.

 

Es ist schwer zu beschreiben, wie sich diese Konzert angefühlt hat – ja richtig, ich meine wirklich “angefühlt“. Es war nicht nur ein Zuhören, es war auch ein Getragenwerden und Erfülltsein. Ich bin ja nun schon lange begeisterte Anhängerin von Jan Wiechmann und lasse kein Konzert aus. Aber dieses Erlebnis der Stimmen im Raum war etwas ganz Besonderes. Das Klangerlebnis wurde noch intensiver, als die beiden zusammen gesungen haben. Vielleicht muss ich sagen: Es wurde eine neue Dimension. Die beiden haben etwas mit mir und dem Raum gemacht. Der Raum schmiegte sich an die Stimmen an … und dann an mich ... und dann war ich Musik...“, schwärmt eine Zuhörerin, die erst einmal sichtlich Mühe hatte, in die Realität zurückzufinden.

 

Alles in allem eine grandiose Raum-Klang-Komposition. Man muss auch die richtigen Räume kennen, um alles aus einer Stimme herausholen zu können. Meine übergroße Begeisterung kann sicherlich keiner verstehen, der es nicht selbst erlebt hat. Wir sind dafür weit gefahren -wir kommen nämlich aus Nordenham - und es hat sich absolut gelohnt“, bestätigte eine weitere Stimme.

 

Hauke Scholten und Jan Wiechmann strahlen. Man sieht ihnen an, dass auch sie von den selbstproduzierten Klängen und der gemeinsam entstandenen Atmosphäre erfüllt und mitgerissen wurden. Genauso wie die Zuhörer, die nach jedem Stück deutlich länger und lauter klatschten, als der typische Höflichkeitsapplaus es erwarten ließe und die schon beim dritten Lied anfingen, sich ihre Zugaben mit gemeinsamem Klatschen im Takt zu sichern.

 

Und die bekamen sie auch: "Danny boy", ein bekanntes Lied, dessen Melodie aus dem frühen 17. Jahrhundert stammt. Im Text geht es um den Abschied eines geliebten Menschen und dessen Wiederkehr.

Und "Zefiro torna", ein Duett aus den Scherzi Musicali von Claudio Monteverdi.

 

Ich habe es genossen, in diesem Raum vor einem so interessierten Publikum zu singen. Es gefällt mir sowieso sehr, Menschen Musik zu vermitteln, die nicht so populär ist – und das in dieser Kulisse machen zu dürfen ist natürlich das Beste!“, fasst Jan Wiechmann sein Erleben des Konzertes zusammen und Hauke Scholten pflichtet ihm bei: „Das Konzert war sehr angenehm, die Zuhörer sympathisch, sehr aufmerksam, konzentriert und begeistert – einfach schön!“

 

An der Auswahl der Stücke lässt sich die Vielseitigkeit der beiden Musiker ablesen. Der eine hat den anderen „großgezogen“, nun sind sie ein Team geworden. Da gibt es jetzt viele Schnittmengen, die dazu führen, dass solche Konzerte Wirklichkeit werden können.

 

Ich bin bei Hauke im Chor seit ich sieben bin. Mittlerweile bin ich neunzehn und habe somit die letzten 12 Jahre mit Hauke zusammen Musik gemacht. Erst nur bei den „Turmfalken“, dann im Klavier- und Orgelunterricht und über ein Praktikum und ein paar Projekte dann auch noch bei den „Lerchen“ und im Kammerchor, bis ich schließlich auch Gesangsunterricht von Hauke bekommen habe.“, erzählt Jan Wiechmann.

 

Und auch Hauke Scholten plaudert aus dem Nähkästchen:

Mit mehreren jugendlichen Sängerinnen und Sängern aus meinen sieben Chören erarbeite ich auch solistische Werke. Seit drei Jahren kümmere ich mich sehr intensiv um Jans Ausbildung, da er eine besondere Stimme entwickelt hat, die Baß, Tenor und Countertenor umfasst. Er besitzt ein ausgesprochen musikalisches Talent und große Liebe zur Musik, sei sie klassischer, geistlicher, alter, neuer oder auch populärer Art. Wir hatten gemeinsam die Chance, den Stimmbruch einfach zu ignorieren, so dass Jan seine Stimmlage nicht getauscht, sondern einfach noch mehr Töne dazubekommen hat. Das ist ein großes Geschenk!“

Wie groß das Geschenk der Künstler an die Zuhörer dieses Abends war, zeigte dann auch die unerwartet hohe Spendenbereitschaft der Besucher an den kirchenmusikalischen Förderverein musica sacra, der auch dieses Turmkapellenkonzert ermöglicht hat. Der Eintritt war frei.

Vielleicht haben wir Glück und es gibt noch eine weitere Chance auf eine solche musikalische Stunde. Die Sterne stehen wohl ganz gut für eine Wiederholung des Konzertes.

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